Vergessene Orte besuchen

Von Denkmalschutz, Sprengstoff und bewegenden Zeiten

Wittenberg ist an sich schon ein Ort, der durch Luthers Leben ein großes Potential an Geschichten aus der Vergangenheit bietet. Doch was ist mit den Erzählungen, die sich um Orte der unmittelbaren Vergangenheit ranken, die vergessen sind? Heute möchten wir Ihnen einige davon vorstellen. Aber, vergessene Orte rufen manchmal auch vergessenes Leid auf.
So bewegend besonders die letzten Beschreibungen sind, so regen Sie auch an, niemals zu vergessen. Gerne zeigen wir Ihnen diese Orte auch persönlich bei einer Führung. 

Herzliche Grüße
Ihr Team der Tourismus-Information Lutherstadt Wittenberg

Westlich der Altstadt steht ein Ensemble von vier denkmalgeschützten Häusern in der Straße Am Alten Bahnhof. Das älteste Gebäude ist der Alte Bahnhof Wittenberg mit der Hausnummer 31. Er wurde 1841 gebaut, war aber schon früh, 1860, nicht mehr im Betrieb. 1898 baute die Stadt Wittenberg daneben den Schweizer Garten als „Concert und Ballhaus“ mit großem Saal, Bühne und Empore. Das historische Gebäude am Alten Bahnhof 32 zeichnet sich besonders durch seine aufwändige Stuckdekoration im, vom Neobarock beeinflussten, Jugendstil aus. Durch den Anbau eines Gastraums im Jahr 1919 wurde das Gebäude auch zum Ausschank des in der Hausnummer 33 angesiedelten Wittenberger Brauhauses genutzt. Das Brauereigebäude von 1902 steht noch, wirkt leider aber verfallen. Daneben ist auch die Villa Am Alten Bahnhof 34 im Stil des Spätklassizismus von 1885 zu sehen, die privat bewohnt wird. 

Mit interessanter und sehr bedeutungsreicher Geschichte, liegt im Stadtteil Reinsdorf das Gelände der ehemaligen Sprengmittelfabrik WASAG, der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff-Actien-Gesellschaft. 1891 wurde sie zur Sprengmittelherstellung mit Sitz in Coswig gegründet. Hier produzierten im Laufe der Jahrzehnte tausende von Arbeitern Sprengmittel zu zivilen, als auch zu militärischen Zwecken. Zwei große Unglücke 1935 und 1944 forderten fast 200 Todesopfer. Während des zweiten Weltkriegs wurden hier von den Nationalsozialisten Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge genötigt, zu arbeiten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte die Sowjetarmee das Werk, demontierte und sprengte es.

Nur das Verwaltungs- und das Kantinengebäude blieben erhalten und wurden ab Ende der 50er-Jahre als Klinik für Tuberkulose-Kranke eingerichtet. 1974 wurde daraus ein Fachkrankenhaus für Pulmologie, Chirurgie und Urologie, mit einem Dialysezentrum ab 1988. Der Krankenhausbetrieb wurde 2005 eingestellt. Das Pförtnerhäuschen ist nun zum Treffpunkt für Führungen geworden. Es ist Ende 2022 auch zum Museum erklärt worden, diverse Exponate sind schon in Vitrinen ausgestellt, geplant sind auch multimediale Umsetzungen. Von hier aus können Sie zu verschiedenen Führungen starten und sich zur Geschichte des Werks und den Ereignissen berichten lassen.

Den Bezug zur WASAG hat ein weiterer vergessener Ort mit bewegender und trauriger Geschichte: das Zivilarbeiterlager Camp Neumühle im Stadtwald von Wittenberg. Nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland waren in Baracken französische Zwangsarbeiter für die Arbeit im Sprengstoffwerk untergebracht. Nach Kriegsende hausten dann aufgrund der russischen Besatzungszone sowjetische Alliierte hier. Zu DDR-Zeiten verfiel das Areal zunehmend. Ein Bunker und rudimentäre Fundamente erinnern noch heute an die bekümmernde Zeit der Franzosen im Lager der Deutschen.